Bundesverwaltungsgericht: Dienstunfallschutz bei Verletzung eines Beamten durch einen körperlichen Angriff eines Kollegen nach scherzhafter oder provozierender Bemerkung

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch Urteil vom 13.07.2023 (2 C 3.22) entschieden, dass der Kontakt zu Kollegen während des Dienstes grundsätzlich zur Ausübung des Dienstes i. S. v. § 31 BeamtVG (entspricht § 33 SächsBeamtVG, § 38 LBeamtVG LSA) gehört, sodass hieraus resultierende Körperschäden von der Dienstunfallfürsorge des Dienstherrn umfasst sind. Anderes gilt, wenn das schädigende Ereignis nach den Umständen des Einzelfalls in einem dienstfremden Zusammenhang steht, wenn sich der Geschädigte dienstpflichtwidrig verhalten, das schädigende Ereignis selbst provoziert oder sich aktiv an einer "Rauferei" beteiligt hat.

Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde: Im Vorraum der Waffenkammer einer Bundespolizeibehörde kam es zu einem Handgemenge zwischen zwei Kollegen des Klägers und diesem, nachdem der Kläger seinen Kollegen zugerufen hatte, dass sie auch „Brüder“ sein könnten. Die Kollegen hielten ihn an einem Arm und einem Bein fest und versuchten ihn gewaltsam zu fixieren, wobei er das Gleichgewicht verlor. Dabei kam es zu körperlichen Verletzungen. Der Kläger begehrte die Anerkennung des erlittenen Körperschadens als Dienstunfall. Die Klage hatte in den Vorinstanzen Erfolg.

Nach § 31 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG (= § 33 Abs. 1 Satz 1 SächsBeamtVG, § 38 Abs. 1 Satz 1 LBeamtVG LSA) ist ein Dienstunfall ein auf äußerer Einwirkung beruhendes, plötzliches, örtlich und zeitlich bestimmbares, einen Körperschaden verursachendes Ereignis, das in Ausübung oder infolge des Dienstes eingetreten ist.

Das gesetzliche Merkmal „in Ausübung des Dienstes“ verlangt nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts eine besonders enge ursächliche Verknüpfung des Ereignisses mit dem Dienst. Der Sinn und Zweck der beamtenrechtlichen Dienstunfallfürsorge liege in einem über die allgemeine Fürsorge hinausgehenden besonderen Schutz des Beamten bei Unfällen, die außerhalb seiner privaten (eigenwirtschaftlichen) Sphäre im Bereich der in der dienstlichen Sphäre liegenden Risiken eintreten, also in dem Gefahrenbereich, in dem der Beamte entscheidend aufgrund der Anforderungen des Dienstes tätig werde. Der Beamte stehe bei Unfällen, die sich innerhalb des vom Dienstherrn beherrschbaren räumlichen Risikobereichs ereignen, unter dem besonderen Schutz der beamtenrechtlichen Unfallfürsorge. Zu diesem Bereich zähle der Dienstort, an dem der Beamte seine Dienstleistung erbringen muss, wenn dieser Ort zum räumlichen Machtbereich des Dienst-herrn gehört. Risiken, die sich hier während der Dienstzeit verwirklichen, seien dem Dienstherrn zuzurechnen, unabhängig davon, ob die Tätigkeit, bei der sich der Unfall ereignet hat, dienstlich geprägt sei. Eine Ausnahme gelte nur für den Fall, dass diese Tätigkeit vom Dienstherrn verboten ist oder dessen wohlverstandenen Interessen zuwiderläuft

Mit diesem Verständnis des Dienstunfalls werde dem Umstand Rechnung getragen, dass auch bei der Dienstausübung regelmäßig dienstliche und private Aspekte nicht streng voneinander zu trennen seien und es nur darum gehen könne, wann und unter welchen Voraussetzungen die auch bei der Ausübung des Dienstes naturgemäß gegebene „Gemengelage“ eindeutig dem privaten Bereich des Beamten zuzurechnen und daher von der Dienstunfallführsorge des Dienstherrn auszunehmen sei. Eine Interpretation, die darauf abstellte, ob der Beamte gerade im Augenblick der Einwirkung des Ereignisses auf seinen Körper mit einer spezifisch dienstlichen Verrichtung befasst war, ginge an der Lebenswirklichkeit vorbei und risse Vorgänge, die bei lebensnaher Betrachtung nur als Gesamtverhalten gewertet werden könnten, auseinander. Zudem würde diese Ansicht an den Nachweis des Vorliegens eines Dienstunfalls Anforderungen stellen, die sowohl den Dienst-herrn als auch den Beamten überfordern könnten.

Die Frage, ob Verhaltensweisen unter Beamten während des Dienstes – wie etwa Scherze und „Neckereien“ – zur Ausübung des Dienstes gehören und daher von der Dienstunfallfürsorge des Dienstherrn umfasst seien, sei stets von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls abhängig. Zwar spreche der räumliche, zeitliche und sachliche Zusammenhang hier grundsätzlich für eine Zuordnung der Geschehnisse zur Ausübung des Dienstes. Anderes gelte aber etwa, wenn das schädigende Ereignis nach den Umständen des Einzelfalls in einem dienstfremden Zusammenhang steht, wenn sich der Geschädigte dienstpflichtwidrig verhalten, das schädigende Ereignis selbst provoziert oder sich aktiv an einer „Rauferei“ beteiligt hat. In diesen Fällen seien etwaige Schäden nicht mehr vom Schutzzweck der Dienstunfallfürsorge des Dienstherrn erfasst.

Maßgeblicher Anknüpfungspunkt für die Beurteilung, ob ein Dienstunfall vorliege, sei allein das Verhalten des geschädigten Beamten. Darauf, ob der oder die Schädiger mit ihrem Verhalten einen dienstbezogenen Zweck verfolgt haben oder es ggf. sogar grundlos zu dem Geschehensablauf und der Auswahl des Geschädigten kam, komme es nach dem Schutzzweck der Dienstunfallfürsorge nicht an. Auch in diesem Fall sei der Beamte dem Geschehen „in Ausübung des Dienstes“ ausgesetzt.

Das Bundesverwaltungsgericht hat das Berufungsurteil, das in der Äußerung des geschädigten Beamten einen harmlosen Spaß gesehen hatte, aufgehoben und die Sache an das Oberverwaltungs-gericht zurückverwiesen. Es war der Auffassung, dass aufgrund des von den Vorinstanzen festgestellten Sachverhalts in der Äußerung des geschädigten Beamten ein provozierendes Verhalten gesehen werden könne, was zur Verneinung eines Dienstunfalls führen würde. Hierzu bedurfte es nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts aber einer weiteren Sachaufklärung, so dass die Sache – das Bundesverwaltungsgericht ist als Revisionsgericht keine Tatsacheninstanz und darf deshalb keine Sachverhaltsaufklärung selbst vornehmen – an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen war.

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