Sächsisches Oberverwaltungsgericht: Kompetenzstreit zwischen Bürgermeister und Gemeinderat

Das Sächsische Oberverwaltungsgericht (im Folgenden: OVG Bautzen) hat mit Beschluss vom 26.06.2023 (4 B 97/23) entschieden, dass der Bürgermeister Verhandlungsgegenstände nicht auf die Tagesordnung des Gemeinderats setzen muss, für die keine Organzuständigkeit des Gemeinderats besteht, sondern Angelegenheiten betreffen, für die allein der Bürgermeister zuständig ist. Falle ein Verhandlungsgegenstand in den Zuständigkeitsbereich des Bürgermeisters, könne eine Zuständigkeit des Gemeinderats dennoch gegeben sein, wenn gleichzeitig das Recht des Gemeinderats betroffen sei, seine inneren Angelegenheiten selbst zu organisieren. In einem solchen Fall müsse der Bürgermeister entsprechende Verhandlungsgegenstände auf die Tagesordnung des Gemeinderats setzen.

Gegenstand des Verfahrens war der Antrag einer Fraktion im Stadtrat der Stadt D., den Oberbürgermeister im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Verhandlungsgegenstand „Eilantrag zur Vermeidung einer Reise des gesamten Stadtrates nach Mannheim“ unverzüglich auf die Tagesordnung der nächsten Sitzung des Stadtrates zu setzen. Nr. 1 des Verhandlungsgegenstandes lautete: „Statt der vom Oberbürgermeister geplanten Reise des gesamten Stadtrates nach Mannheim am 07./09.07.2023 wird eine Delegation von maximal zehn Stadträtinnen und Stadträten entsandt.“ Der Oberbürgermeister hatte den gesamten Stadtrat zu dieser Reise eingeladen. Sie diente der Vorbereitung der Entscheidung über eine BUGA-Bewerbung der Stadt. Darüber hinaus verfolgte der Oberbürgermeister mit dieser Einladung – nach den Feststellungen des OVG Bautzen „vielleicht vor allem“ - den Zweck, die Kommunikation zwischen Oberbürgermeister und Rat sowie zwischen den Ratsmitgliedern zu fördern und das Arbeitsklima zu verbessern. Das Verwaltungsgericht Dresden lehnte den Antrag der Fraktion mit Beschluss vom 12.06.2023 (7 L 339/23) ab. Die dagegen von der Fraktion zum OVG Bautzen eingelegte Beschwerde hatte Erfolg.

Wird ein Antrag auf Aufnahme eines Verhandlungsgegenstandes auf die Tagesordnung einer Sitzung des Gemeinderates gestellt, komme dem Bürgermeister ein formelles Vorprüfungsrecht (etwa hinsichtlich Form und Frist sowie der Voraussetzungen des § 36 Abs. 5 Satz 1 SächsGemO) zu. Ein materielles Vorprüfungsrecht komme für ihn aufgrund der ausdrücklichen Regelung in § 36 Abs. 5 Hs. 2 SächsGemO nur bezüglich der Zuständigkeit des Gemeinderates für den Verhandlungsgegenstand in Betracht. Ein weitergehendes materielles Vorprüfungsrecht stehe ihm grundsätzlich nicht zu.

Die Reise des Stadtrates könne, so das OVG Bautzen, als besondere Sitzungsvorbereitung mit vertieften Informationsmöglichkeiten verstanden werden. Insoweit komme die ausschließliche Zuständigkeit des Oberbürgermeisters nach § 52 Abs. 1 SächsGemO in Betracht, wonach der Bürgermeister die Sitzungen des Gemeinderats und der Ausschüsse vorbereitet.

Da jedoch die Reise nicht nur der Vorbereitung einer Sitzung, sondern auch der Förderung der Kommunikation zwischen Oberbürgermeister und Rat sowie zwischen den Ratsmitgliedern sowie der Verbesserung des Arbeitsklimas gedient habe, habe es sich bei der Reise um eine Veranstaltung gehandelt, die gleichzeitig das Recht des Stadtrates aus § 38 Abs. 2 SächsGemO betrifft, seine inneren Angelegenheiten selbst zu organisieren. Eine Veranstaltung zur Verbesserung der Kommunikation zwischen Oberbürgermeister und Rat oder gar zwischen den Ratsmitgliedern falle ersichtlich nicht in die alleinige Zuständigkeit des Oberbürgermeisters. Das Recht des Stadtrates zur Regelung seiner inneren Angelegenheiten umfasse auch das Recht, eine solche, vom Oberbürgermeister initiierte Reise für den Stadtrat insgesamt durch Mehrheitsentscheidung abzulehnen oder zu modifizieren. Es liege auf der Hand, dass das betroffene Organ sich mit einer für eben dieses Organ geplanten Aktivität selbst befassen und dazu ggf. Beschlüsse treffen dürfe. Alles Andere liefe nicht nur § 38 Abs. 2 SächsGemO, sondern auch dem Grundsatz des organfreundlichen Verhaltens zuwider.

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